Gewinnerin des Featurepreises 2015:
Klingeltʼs?
Flappy Bird statt Playmobil, WhatsApp statt Zettelchen schreiben und auf dem Pausenhof dominieren anstelle von Gummitwist und Fußball virtuelle Spiele das Geschehen. Handys und Smartphones sind aus dem Alltag der Kinder ebenso wenig wegzudenken wie aus dem der Erwachsenen. Dabei stehen Eltern vor der schwierigen Aufgabe, ihrem Nachwuchs den richtigen Umgang mit dem Handy zu vermitteln.
Von Elena Winterhalter
Es läutet zur Pause. Eine ganze Schar Schüler quillt aus den Eingangstüren der Grundschule Mitte in Aichach. Schnell bilden sich Grüppchen. Es wird getuschelt und gekichert. In einer Gruppe von vier Mädchen steht Isabell. Etwas abseits der anderen, als wäre sie nicht sicher, ob sie wirklich dazu gehört. Alle starren verzückt auf das Display eines iPhone5, das eines der Kinder zum Geburtstag bekommen hat.
Bei Isabell in der vierten Klasse besitzen fast alle ein Smartphone, ausgestattet mit Internet, Kamera und jeder Menge Spiele. Bereits im Grundschulalter gehört das Handy zur Lebenswelt. Laut der KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest aus dem Jahr 2012 besitzt jedes zehnte Kind zwischen sechs und sieben Jahren ein Mobiltelefon. Bei den Zehn- bis Elfjährigen sind es bereits 67 Prozent. Eltern müssen eine klare Position beziehen: Bekommt mein Kind ein Handy, um erreichbar zu sein und bei den Altersgenossen mithalten zu können? Oder bin ich dagegen, dass meine neunjährige Tochter einen mobilen Alleskönner bei sich trägt, mit dem sich problemlos jede Internetseite aufrufen lässt?
Beatrix Benz arbeitet für die Aktion Jugendschutz Bayern als Medienbeauftragte. Sie kennt die Ängste und Unsicherheiten der Eltern. Egal, ob Elternabende in Kindergärten oder Grundschulen, das Thema ist so präsent wie nie. „Der schnelle technische Fortschritt verunsichert viele Eltern“, weiß Benz. Zudem fehlen verlässliche Altersklassifizierungen für Apps ebenso wie anerkannte Jugendschutzprogramme. Durch die ständige Verbindung zum Internet kann eine Unmenge persönlicher Daten von den Kindern unbemerkt ins Netz gelangen. Das Medium Smartphone entzieht sich in Kinderhänden der Kontrolle der Eltern.
„Es ist wichtig, dass Eltern eine eigene Haltung entwickeln und diese vor dem Kind auch verteidigen“, betont Benz. Dabei schauen sich Kinder besonders von Personen in ihrem direkten Umfeld den Umgang mit dem Handy ab. „Wenn in der Familie beim Essen Vater und Mutter ständig auf ihr Display starren, werden Kinder nicht verstehen, warum sie das nicht auch dürfen“, erklärt die Jugendschutzbeauftragte. Ihr Rat: Feste Regeln einführen, an die sich alle Familienmitglieder halten müssen. Um Erziehungsberechtigte zu unterstützen, wurden von der Aktion Jugendschutz Bayern sogenannte Elterntalks eingeführt. In ungezwungener Atmosphäre treffen sich Erwachsene mit ähnlichen Fragen und Problemen und tauschen sich aus. Ulrike Pauli koordiniert diese Treffen für den Raum Augsburg. „Wir wollen die Eltern in ihrer eigenen Kompetenz stärken. Nur sie wissen, wann ihr Kind bereit für ein Smartphone oder Handy ist. Deshalb setzten wir nicht auf Erziehungswissenschaftler oder Psychologen. Die Eltern sollen sich gegenseitig helfen“, erzählt Pauli.
In der Küche von Isabells Familie wird es mal wieder laut: „Ich hasse dich“, schreit die Neunjährige und stampft mit Tränen in den Augen auf den Boden. „Alle haben eins, nur ich nicht.“ Sie und ihre Mutter führen diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Wieder ist Isabell angefressen aus der Schule gekommen, weil sich im Schulbus alle über die neuesten Entdeckungen auf ihrem Smartphone ausgetauscht haben. Isabell konnte da nicht mitreden. „Sobald du eine weiterführende Schule besuchst, bekommst du ein Handy“, versucht die Mutter zu beschwichtigen. Vergeblich.
„Wenn ein Notfall ist, kann ich niemanden erreichen“, beschwert sich die Neunjährige häufig. Ein Argument, das schwer zu widerlegen ist. Die Sicherheit des Kindes spielt eine wichtige Rolle bei der Frage: Handy ja oder nein? Häufig wird dieser Aspekt von den Kindern ins Feld geführt, weiß die Jugendschutzbeauftragte Benz. Für Eltern ist es natürlich ein beruhigender Gedanke zu wissen, dass ihr Kind immer und überall erreichbar ist und sich jeder Zeit melden kann. „Was passiert aber, wenn ich meinen Sohn oder meine Tochter mal nicht erreiche?“, fragt Benz. „Dann bricht bei viele sofort die Panik aus. Dabei hat auch ein Kind das Recht, nicht immer erreichbar zu sein. Wir Erwachsene nehmen dieses Recht auch für uns in Anspruch.“ Laut der KIM-Studie 2012 bekamen 38 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen das Handy auf Initiative der Eltern. Überwiegend geschieht der Kauf auf Wunsch des Nachwuchses.
Für die Eltern von Isabell bedeutet das Handy kein Gefühl von Sicherheit – im Gegenteil. Sie wollen ihre Tochter so lange wie möglich vor der Strahlung schützen, die von den Geräten ausgeht. „Es ist zwar nichts eindeutig bewiesen, aber wir möchten nicht, dass sich unsere Tochter so früh der Gefahr aussetzt“, betont Isabells Mutter. Zum nächsten Geburtstag wird Isabell ein Handy bekommen. „Eins mit Kamera“, wünscht sie sich. Aber die Eltern werden Zeiten festlegen, an denen das mobile Telefon ausgeschaltet sein soll, zum Beispiel beim Essen oder nach 19.30 Uhr. Außerdem wird der Vertrag gedeckelt. „Mehr als 15 Euro im Monat soll sie nicht verbrauchen“, sagt die Mutter. Auch die Koordinatorin des Elterntalk Ulrike Pauli sieht die Gefahr von verstecken Kostenfallen durch In-App-Käufe, Verträge oder kostenpflichtige Spiele. Sie rät deshalb, mit den Kindern ein ausführliches Gespräch zu führen über Gefahren und Möglichkeiten. „Außerdem sollte das Herunterladen von Apps kontrolliert ablaufen und hin und wieder von den Eltern überprüft werden“, so Pauli.
Neben der Zugehörigkeit zur Gruppe geht es gerade jüngeren Kindern vor allem um den Spaßfaktor. Fotografieren, spielen, Videos anschauen – Beschäftigungen, die Kinder lieben. „Am wichtigsten ist, dass die Kinder Medienkompetenz vermittelt bekommen“, betont Benz. Denn eines ist sicher: Die Geräte werden nicht mehr verschwinden. „Es gibt schon heute kaum Berufe, in denen man ohne den Umgang mit mobilen Geräten auskommt“, sagt Ulrike Pauli. Für die Kinder ist es deshalb wichtig, dass sie technisches Know-how vorweisen können. In erster Linie ist das Aufgabe der Eltern. Aber auch die Schulen haben eine Verpflichtung, den Kindern und Jugendlichen diese Kompetenz zu vermitteln.
In Augsburg wurden dazu schon einige erfolgreiche Projekte durchgeführt. So verzichteten Schüler der sechsten Klasse des Holbein-Gymnasiums eine Woche komplett auf ihr Handy und diskutierten im Anschluss über ihre Erfahrungen. „Die erste Reaktion der Kinder war: Das geht nicht“, erzählt Claudia Lesti, die Englischlehrerin der Schüler. Doch dann haben fast alle durchgehalten. Die meisten vermissten dabei den Nachrichtendienst WhatsApp, mit dem sie sonst mit Freunden kommunizieren konnten. Durch den Verzicht auf Spiele wurde die Enthaltsamkeit der Schüler ebenfalls auf die Probe gestellt. „Es gibt Games, da ist man tot, wenn man ein paar Tage lang nicht reinschaut“, sagt der 12-jährige Maximilian. An der Fachoberschule Friedberg startet ab nächstem Schuljahr das Projekt „i-Pad-Klassen“. Ziel ist es, die mobilen Geräte nicht aus der Schule auszuklammern. Den Schülern soll die Fähigkeit vermittelt werden, gefundene Inhalte einzuordnen und zu bewerten.
Auch die Angst davor, dass die Kinder zu viel Zeit vor dem Gerät verbringen, statt sich mit Freunden zu treffen, treibt Eltern um. „Nachvollziehbar“, findet Beatrix Benz. Häufig wird auch die bruchstückhafte Kommunikation via WhatsApp und SMS diskutiert. „Die Kommunikation mit dem Handy ist eine neue Form. Früher waren es Chats und E-Mails, über die gesagt wurde, sie würden zum Untergang der gesprochenen Sprache führen“, weiß Benz. „Solange das Gerät in Maßen genutzt wird und für das Kind nicht unersetzbar wird, sollten Eltern unbesorgt bleiben“, rät die Medienbeauftragte. Blickt man zurück in die Geschichte, finden sich bereits früh Beispiele für Medien, die zunächst verteufelt wurden. Die neuen Formen lösten Ängste aus, ihr Stellenwert und die Folgen ließen sich nicht abschätzen. So heißt es in Platons Dialog „Phaidros“: „Schrift verleitet Schüler zur Vergesslichkeit und zur Illusion der Vielwisserei, weil sie das Gedächtnis nicht mehr trainieren und sich auf die schriftliche Dokumentation verlassen.“ Und wer kann sich heute noch eine Welt ohne das geschriebene Wort vorstellen?
- Elena Winterhalter (23) ist Nachwuchs-Blattmacherin der Augsburger Allgemeinen Zeitung.